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Strategische Herausforderungen. Heute: Caran d’Ache

Wer den Schreibgerätehersteller Caran d’Ache (mit seinen wirklich fabelhaften Produkten) kennt, weiss worauf ich hinaus möchte. Wer Caran d’Ache nicht kennt, möge sich auf der Website des Unternehmens oder – noch viel besser – auf dem bemerkenswerten YouTube Video über den „Caelographen“, ein höchstwertiges Schreibgerät aus dem Caran d’Ache-Sortiment, ein Bild von dem strategischen Spagat machen, den das Unternehmen zu gehen hat.

Vom Buntstift im Cent-Bereich zum Caelographen im Wert von bis zu 100.000 Euro, von der Grundschule bis zum höchstwertigen Schreibgerätehandel, das ist ein Spektrum, das es nicht nur sortimentsseitig, sondern auch vertriebsseitig und kulturell abzudecken gilt. Wesentlich ist es hier, die Segmente sauber voneinander zu trennen und dafür Sorge zu tragen, dass die Marke durch das Zerren an beiden Enden des Leistungsspektrums nicht verwässert wird. Gerade dieses Verwässern birgt ein hohes Risiko, denn es wird meist nicht unmittelbar bemerkt. Wenn es aber bemerkt wird, ist bereits so viel Markenkontur verloren gegangen, dass die Rekonturierung eine veritable Zeitspanne in Anspruch nimmt.

Die Fragen, die sich Caran d’Ache stellen muss, müssen sich auch zahlreiche unserer Klienten stellen: Welches ist das richtige Sortiment? Wie wachsen wir sinnvoll, ohne an Kontur oder an Profitabilität zu verlieren? Haben wir noch die richtigen Marktzugänge? Haben wir die richtige Mannschaft an Bord? Ja, haben wir überhaupt noch die richtigen Kunden und kennen wir ihre echten Bedürfnisse?

Wohlgemerkt: Caran d’Ache macht seine Sache im Moment noch sehr gut, aber das (Familien-) Unternehmen bietet mit dieser extremen Segmentspreizung ein wunderbares Fallbeispiel, welche strategischen Herausforderungen es zu stemmen gilt. Insofern bot sich Caran d’Ache im Übrigen auch blendend für ein Fallbeispiel im Rahmen meiner Vorlesung „Strategy Consulting“ an der SRH Hochschule für Logistik und Wirtschaft an.

(c) 2014, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.

Sieben strategische Herausforderungen des Lebensmittel-Einzelhandels

Wie bereits im Jahr 2012 halte ich auch im Wintersemester 2013/2014 die Vorlesung „Strategy Consulting“ an der SRH Hochschule für Logistik und Wirtschaft in Hamm / Westfalen. Zusammen mit meinen hochengagierten, motivierten Studierenden haben wir gestern sieben (strategische) Herausforderungen für den Lebensmittel-Einzelhandel erarbeitet. Hier sind sie:

  1. Balance zwischen Wertigkeit und Preis schaffen.
    Eine immer höhere Wertigkeit der Produkte, durch mehr Regionalität aus entsprechend nicht-industrieller Herkunft, immer mehr „Öko“, „Bio“, „fair“ haben ihren Preis. Genau der Preis ist es aber, der gerade im umkämpften deutschen Lebensmittel-Einzelhandel eine wesentliche Rolle bei der Kaufentscheidung spielt. Ein Umdenken der Kunden, das zu deutlich höheren Ausgaben pro Einkauf führen würde, bedarf eines längeren Zeitraums. In der Zwischenzeit ist der Handel gefordert, die Balance zwischen Wertigkeit und Preis zu halten. Daher wird sich auch das Sortiment weiterhin eher ausdehnen, um den Konsumenten die Chance zu geben, preisgünstige Produkte und gleichzeitig ausgewählt Bio, fair, Öko, regional zu kaufen.
  2. Qualität der Beratung und damit zusammenhängende Kosten
    Nicht nur die Beratung selbst im Handel ist es, die zunehmend gefragt ist – besonders auch in Märkten wie Österreich -, sondern auch das Gespräch im Markt kann kaufentscheidend und frequenzentscheidend sein. Ein nicht-messbarer Faktor, der allerdings, will man ihm Rechnung tragen, mit sehr wohl messbaren Kosten, nämlich Personalkosten unterfüttert werden muss. Bis zu welchem Grad sind diese Investitionen lohnend? Der Blick darauf lohnt auf jeden Fall.
  3. Logistik-Anforderungen
    Viele Händler tun es heute schon, noch mehr werden es tun müssen, wollen sie den wachsenden Lieferdienst-Bestrebungen etwas entgegensetzen. Lieferdienste profitieren vor allem davon, dass routinemäßig das gleiche bestellt wird und sie in der Lage sind, die Logistik effizient zu organisieren. Was tut der LEH? Vier Kästen Fachinger in den dritten Stock zu tragen ist auch durch 1 Euro Aufpreis nicht abzupuffern. Der LEH benötigt eine Antwort auf die Frage nach der Lieferung.
  4. Eigenmarke vs. Unternehmensmarke
    Rewe beispielsweise positioniert seine gleichnamige Eigemarke zunehmend. Wie konturiert die Unternehmensmarke REWE die Produktmarke „Rewe“, vor allem auch in Bezug auf „Ja!“? Wie ist die überhaupt die Zukunft von „Ja!“? Wird „Rewe Bio“ ein eigenständiges Leistungsversprechen halten? Wofür wird die Unternehmensmarke künftig stehen? Bleibt es bei der Symbiose zwischen Discount und Rewe am gleichen Standort? Antworten hierauf müssen aus strategischer Sicht gegeben werden.
  5. Regionalität vs. Internationalität
    Zahlreiche LEH setzen auf die oben bereits beschriebene Regionalität. Was aber, wenn der Kunde sich daran gewöhnt hat, dass die Tomaten auch im Winter frisch sind, dass es Flugmango gibt und dass Erdbeeren weitaus kein Sommerobst mehr sind? Wird weiterhin beides angeboten? Das regionale Sortiment und das internationale? Wie wird hier Wirtschaftlichkeit dauerhaft erzeitl, auch angesichts absehbar steigender Transportkosten, verbunden mit dem Unwillen, für die Produkte mehr zu bezahlen und der zunehmenden Aufmerksamkeit der Konsumenten auf fair trade? Eine strategische Herausforderung.
  6. Der richtige Filialtyp
    Der LEH hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Filialtypen es geben soll, ob jeder Filialtyp erforderlich und ob udn wenn ja auf welche Weise die einzelnen Filialtypen zum profitablen Wachstum beitragen. Bei hoher Unterschiedlichkeit von Filialtypen (z. B. hat Billa in Österreich vier Filialtypen, die z. T. sehr unterschiedlich sind) ist dies eine große Führungsherausforderung.
  7. Convenience als Trendfrage
    Der Faktor „Zeit“ wird immer wichtiger. Welche Antworten liefert der LEH auf den zunehmenden Bedarf nach attraktiven Convenience-Angeboten? Der lieblos zusammengestellte, bereits gewaschene Salat, den wir früher als „Convenience“ bezeichnet haben, genügt nicht mehr. Wie wird der „Convenience“-Gedanke weitergedacht?

Sind dies alle strategischen Herausforderungen des LEH? Nein, aber es sind sieben valide Dinge, über die in LEH-Unternehmen nachgedacht werden soll. Dass hier noch erhebliches Potenzial besteht, sehen wir täglich in den Märkten.

Welche Ergänzungen sehen Sie? Kommentieren Sie hier oder schreiben Sie mir.

Vielen Dank an Frauke Barfues, Marc Borgmann, Henrik Brieke, Christoph Gerling, Lars Henkemeier, Jens Mielke, Vembi Noverli und Julianna Siman für die Inspiration für und Diskussion über diesen Beitrag.

(c) 2013, Prof. Dr. Guido Quelle, Mandat Managementberatung GmbH, Dortmund, London, New York.